Rückenschmerzen: Die Entwicklung des Homo smartphonenensis

Evolution bedeutet Anpassung des Körpers und der Fähigkeiten an die Umstände. Vor nicht ganz zwei Millionen Jahren begannen die Vorfahren des Menschen, aufrecht zu stehen und auf zwei Beinen zu laufen. Der Vorteil ist klar: Wer seine Vorderbeine nicht mehr zum Laufen verwendet, kann damit stattdessen während des Laufens Gegenstände tragen und benutzen, wie zum Beispiel Waffen. Der Homo erectus hatte die Speerjagd erfunden! Von nun an musste sich das Mammut vor einem neuen natürlichen Feind hüten.

Eine aufrechte Haltung mag die Wirbelsäule am liebsten

Ohne diesen aufrechten Gang hätte sich der Mensch nicht zu dem entwickeln können, was er heute ist. Nur so konnten aus Vorderbeinen Hände werden, also faszinierende Präzisionswerkzeuge, mit denen unsere Vorfahren immer erstaunlichere Werke schufen. Auch unsere Wirbelsäule hat sich über die Jahre perfekt an den aufrechten Gang angepasst. Mit ihrer doppelten S-Form federt sie den Kopf in aufrechter Haltung optimal ab und ist dabei selbst den geringsten Belastungen ausgesetzt.

Allerdings haben sich die Anforderungen an die Wirbelsäule inzwischen verändert, und das spüren wir deutlich im Rücken: Bis vor wenigen 100 Jahren arbeitete der Mensch noch vor allem im Stehen und war es gewohnt, viel zu laufen. Heute allerdings verrichten wir unser Tagesgeschäft fast nur noch im Sitzen. Aus dem “aufrechten Menschen” wird der “sitzende Mensch”.

Diese Problematik ist uns schon seit langem bekannt. Schließlich zählen Rückenschmerzen, die aus überwiegend sitzender Haltung und zu wenig Bewegung resultieren, zu den Volkskrankheiten der westlichen Welt.

Rückenschmerzen durch das Smartphone

Das Smartphone und der Rücken

Und es wird nicht besser, sondern schlimmer. In den letzten Jahren ist eine neue Tendenz in Sachen Körperhaltung zu beobachten, die den Rücken noch mehr belastet: Das Smartphone, unser ständiger Begleiter. Fast jeder besitzt eines und beim Benutzen nimmt man häufig unwillkürlich eine unvorteilhafte ergonomische Haltung ein: Den Rücken gekrümmt, den Kopf nach vorne gebeugt.

Dr. Kenneth Hansraj, Wirbelsäulenspezialist aus New York, fand durch Berechnungen heraus, wie sehr eine “Smartphone-Haltung” die Wirbelsäule belastet. In der idealen, aufrechten Position trägt die Wirbelsäule beim Erwachsenen rund fünf bis sechs Kilogramm “Kopfgewicht”. In dieser Haltung befindet sich der Schwerpunkt des Kopfes direkt auf der Wirbelsäule. Beugt man ihn jedoch nach vorne, um etwa auf das Smartphone zu schauen, muss die Wirbelsäule die Zugkraft nach unten ausgleichen und so – je nach Winkel – ganze 22 bis 27 kg aushalten.

Eine anschauliche Grafik dieser Körperhaltungen und des zunehmenden Gewichts finden Sie hier.

Besonders fatal wirkt sich diese Entwicklung bei Kindern aus, deren Knochen sich noch in der Wachstumsphase befinden. Das stundenlange Starren auf den Bildschirm in gebeugter Haltung kann so schon zu Rückenschäden führen, bevor die Kinder erwachsen sind. Immer mehr Kinder bekommen immer früher ihr eigenes Smartphone. Kein Wunder – ein Großteil der Kommunikation läuft heute über diverse Messenger. Wer seinem Kind das Smartphone verbietet, schließt es automatisch aus dem stetigen Informationsfluss der Gleichaltrigen aus. Nicht umsonst wurde das Wort Smombie (aus Smartphone und Zombie) zum Jugendwort des Jahres 2015 gewählt!

Das Smartphone ist schädlich für den Rücken

Dem Rücken auf die Sprünge helfen

Wie kann man das Problem lösen? Es wird schwierig, Kindern eine krumme Haltung am Handy abzugewöhnen und erst Recht, die Nutzung verbieten. Aber beobachten Sie die Kleinen trotzdem und unterstützen Sie sie dabei, die Haltung zu korrigieren. Reduzieren Sie die Smartphone-Zeit, indem Sie Ihre Kinder nicht zur Schule fahren und abholen – sie sollten besser (zum Bus) laufen oder mit dem Rad fahren. Bringen Sie generell wieder mehr Bewegung in den Alltag: Gehen Sie z.B. mit den Kindern schwimmen, wandern oder radfahren – das freut die Wirbelsäule und macht gute Laune!

Bewegung ist das schönste Geschenk an den Rücken – auch für Erwachsene. Nur so kann die Wirbelsäule die ständige gekrümmte Sitzhaltung ausgleichen. Und wenn Sie schon den Großteil des Tages sitzen zu müssen, sorgen Sie für abwechselnde Haltungen: Kreisen Sie mit den Schultern, achten Sie darauf, möglichst gerade zu sitzen, stehen Sie immer mal wieder auf und strecken sich. Steigen Sie nach der Arbeit nicht gleich ins Auto, sondern parken Sie lieber weiter weg und laufen ein paar 100 Meter – oder noch besser: fahren Sie, wenn möglich, mit dem Fahrrad!

Aber zurück zum Smartphone: Machen Sie sich Ihre Haltung am Handy bewusst und versuchen Sie, diese ungesunde, gebeugte Haltung über dem Display so oft es geht zu vermeiden.

Der Homo smartphonenensis

Die Evolution ist nicht zu stoppen: Physische Anpassungen erfolgen äußerst langsam, aber dafür stetig. Vielleicht werden die Archäologen in ferner Zukunft den Menschen des Jahres 2017 ausgraben. Wegen der ersten Anzeichen für eine völlig neue, nach vorn gebeugte Körperhaltung könnten sie ihn Homo smartphonenensis nennen. Hoffen wir, dass es nicht soweit kommt!


von Die Redaktion. 20.11.2017