Wohl jeder hat schon mal vom sogenannten Schleudertrauma gehört, das häufig nach Auffahrunfällen auftritt. Schuld am Schmerz ist in der Regel ein verschobener Atlaswirbel. Was nur wenige wissen: Der Halswirbel mit dem ungewöhnlichen Namen macht auch in anderen Zusammenhängen von sich reden. Hinter Gleichgewichts- und Konzentrationsstörungen, Schwerhörigkeit oder Kopfschmerzen kann sich eine Fehlstellung des Atlaswirbels verstecken. Schon eine kleine Verschiebung kann die unterschiedlichsten Symptome auslösen. Doch warum ist das so?
Kleiner Wirbel – große Bedeutung
Der Atlaswirbel ist der oberste Wirbel des Rückgrats und sitzt direkt unter dem Kopf. Als Bindeglied zwischen Wirbelsäule und Schädelbein befindet er sich in unmittelbarer Nähe zum Gehirn. Über dem Atlaswirbel sind wichtige Hirnbereiche angesiedelt, die so essenzielle Funktionen wie Atemfrequenz und Herzschlag steuern. Und um den Atlaswirbel verlaufen viele Nerven, die mit dieser Hirnregion und der Wirbelsäule in Verbindung stehen. Kein Wunder also, dass eine Fehlstellung eine ganze Reihe von Beschwerden auslösen kann, die Laien und Ärzte zunächst oft nicht mit dem Atlaswirbel in Verbindung bringen.
Diese Symptome können durch den verschobenen Atlaswirbel auftreten:
- Kopfschmerzen bis hin zu Migräne
- Nackenschmerzen
- Bewegungseinschränkung des Kopfes
- Verspannungen
- Schwindel und Gleichgewichtsstörungen
- Konzentrationsstörungen
- Schwerhörigkeit
- Erschöpfungszustände bis hin zum Burn-out
- Herzrasen oder Herzrhythmusstörungen
- Bei langer Dauer Haltungsschäden
Der Atlaswirbel nimmt eine besondere Stellung ein
Was ist das Besondere am Atlaswirbel?
Der Abschlusswirbel des Rückgrats ist etwas anders geformt als die restlichen Wirbel des Rückgrats. Er sorgt mit seiner abgeflachten Form für die Beweglichkeit unseres Kopfes – ob horizontal oder vertikal. Nur dank des Atlaswirbels können wir zustimmend nicken oder verneinend den Kopf schütteln, wie Luftikus in den Himmel schauen oder über unsere Schulter blicken.
Woher der Name Atlaswirbel kommt? In der griechischen Mythologie lastete auf den Schultern des Titanen Atlas das ganze Himmelsgewölbe – bei uns Normalsterblichen ist es nur der Kopf. Doch auch an dem trägt der Atlaswirbel schwer. Denn der C1, wie ihn Mediziner nennen, liegt zur Kopfseite frei. Er wird vorwiegend von Bändern in Position gehalten, ist weniger stabil und sehr anfällig für Verletzungen.
Der Atlaswirbel ist also eine Art Achillesferse unseres Rückgrats. Schon eine unglückliche Bewegung kann das erste Glied des Rückgrats verschieben, Wirbelsäule und Muskelapparat aus dem Gleichgewicht bringen und das Herz-Kreislauf-System beeinträchtigen. Hier zeigt sich einmal mehr, dass der Mensch eine Einheit ist. Greift ein kleines Zahnrad nicht mehr richtig ins andere, wirkt sich das auf den gesamten Organismus aus.
Der Titan Atlas in einem Ölgemälde von John Singer Sargent
Diagnose nicht ganz einfach
Meist sind die Veränderungen bei einer Fehlstellung so geringfügig, dass sie nicht einmal auf dem Röntgenbild zu erkennen sind. Doch wie lässt sich ein Problem am Atlaswirbel dann diagnostizieren? Hier ist der Arzt auf seinen Tastsinn angewiesen. Sitzt der Atlaswirbel nicht in seiner richtigen Position, ist das Muskelgewebe rund um den Wirbelkörper verhärtet und damit tastbar.
Mitunter hilft auch eine Ausschlussdiagnose weiter. Kommen keine anderen Ursachen für Kopfschmerz, Schwindelgefühl & Co infrage, ist häufig der Atlaswirbel der Übeltäter. Führen alle Untersuchungen zu keinem eindeutigen Ergebnis, gibt eine Computertomografie über die Verlagerung des Atlaswirbels Aufschluss – allerdings nur, wenn der Arzt gezielt danach sucht.
Wie sieht die Therapie aus?
Wer hinter seinen Beschwerden den Atlaswirbel vermutet, kann zunächst mit warmen Bädern, Massagen und entsprechenden Salben für Entspannung der Muskulatur sorgen. Mitunter bewegt sich der Atlaswirbel wieder in seine ursprüngliche Position zurück, wenn die Verspannung sich löst. Ist dies nicht der Fall, hilft unter Umständen ein kundiger Chirotherapeut weiter – er verlagert den Atlaswirbel mit bestimmten Handgriffen wieder dorthin, wo er hingehört. Unabdingbare Voraussetzung für eine Behandlung: Die Fehlstellung des Atlaswirbels muss sicher diagnostiziert sein.
Nicht hinter jedem der genannten Symptome steckt gleich eine Fehlstellung des Atlaswirbels. Doch ist es ratsam, auch in diese Richtung zu denken, wenn für bestimmte Beschwerden keine schlüssige Erklärung zu finden ist. Das könnte die eine oder andere Diagnose kurzerhand auf den Kopf stellen.